Begriffe aus dem Bereich des Taijiquan

Fachbegriffe aus dem Bereich des Taijiquan

Taijiquan unterscheidet sich von anderen Bewegungsformen, wie etwa aus dem Sport. „Den Arm heben“ ist nicht nur die im Aussen sichtbare Bewegung. Es gelten bestimmte Prinzipen. Ebenso ist mit zunehmender Praxis die innere Haltung Baustein der Bewegung. Was wir aber nicht sehen können ist auch immer schwer zu beschreiben. So haben sich Vokabel entwickelt, die beschreiben was über das sichtbar Beschreibbare hinausgehen – Das Fach-Chinesisch des Taijiquan.

勁 (vereinfacht 劲) {jìng oder auch jìn}

Vorab sei erwähnt, dass die beim Schriftzeichen 劲 die Umschrift jin für das Nomen und jing für das dazugehörige Adjektiv steht. Wenn wir das Zeichen 劲 als Kraft übersetzen, könnte man auch das Zeichen 力 {lì} verwenden. Der Unterschied wird in der Taijiquan-Szene oft diskutiert. Hinweise finden sich allerdings nur in der Sekundärliteratur. Wenn wir alle Prinzipien des Taijiquan beachten, könne wir getrost bei dem Begriff „Kraft“ bleiben. Aber gerade durch das beachten der Prinzipien entsteht eine, sagen wir, spezielle Kraft. Ein Blick auf das Schriftzeichen bringt uns diesem Speziellen einen Schritt näher.

Das eigentliche Zeichen für Kraft 力 {lì} finden wir in der rechten Hälfte des Zeichens für die Kraft im vorliegenden Text, 勁 {jìn}. In der linken Hälfte des Zeichens finden wir folgende Kombination 巠. Diese Kombination alleine ist auch ein eigenständiges Zeichen. Zum Zeichen  巠 {jīng} finden wir die Übersetzung: im Untergrund fließendes Wasser. Es beschreibt eine Durchgängigkeit, ein Durchdringen.[1]http://taeglich.chinesisch-trainer.de

Nicht statisch

Der Kraft-Begriff 力 {lì} alleine könnte auch eine statische Kraft meinen, wie wir sie in der Physik finden. Der Druck der zum Beispiel in einem Material (z.B. Säule eines Gebäudes) entsteht, resultiert aus der auf das Material wirkenden Kraft. Hier haben wir aber keine merkliche Bewegung. „Kraft gegen Kraft“ ist im Taijiquan zu vermeiden. In der Kombination der beiden Teile, 巠 {jīng} + 力 {lì} = 勁 {jìn}, sehe ich das Sinnbild einer Kraft, die, auf das Taijiquan bezogen, den ganzen Körper durchdringt und ohne zu stagnieren, fließt. Der ganze Körper ist an der Entstehung und Wirkung der Kraft beteiligt. Vertiefen wir uns noch weiter in die Symbolhaftigkeit und betrachten uns die Eigenschaft von Wasser, das im Untergrund fließt. In der augenscheinlich festen Materie, Erde, bahnt sich das Wasser seinen Weg. Es fließt, sich anpassend, dort wo es Platz findet. Auf der anderen Seite muss die Erde aber auch durchlässig, offenporig genug sein um das Wasser nicht an seinem Fluss zu hindern. Das würde zu Stauungen führen. Der fließende Aspekt erschließt sich auch, wenn wir weitere Schriftzeichen betrachten, in denen 巠 {jīng} beinhaltet ist.

Wie Wasser das im Untergrund fließt

  • 徑 {jìng} direkter-Weg
    ➜ Auf (巠 direktem Weg) (彳 gehen) ➜ also eine 徑Gerade, ein 徑 direkter Weg.
  • 經 {jīng} durch/-machen
    ➜ Der normale Ablauf der Dinge, etwas durchleben, 經 durchmachen ➜ wie (巠 durchgehende) (糸 Seidenfäden).
  • 輕 {qīng} leichtgewichtig
    ➜ Ein (車 Fahrzeug), das so (輕 leicht) ist, dass es von allein „巠 durchgeht“, also von allein wegrollt.[2]http://taeglich.chinesisch-trainer.de

Auch aus der Kombination von 勁 {jìn} mit weiteren Schriftzeichen und den dadurch gebildeten Begriffen lässt sich eine Qualität erkennen.

  • 勁頭 [劲头] = jìntóu ➜ Begeisterung, Enthusiasmus ➜ Energie 勁 + Kopf 头
  • 幹勁 [干劲] = gànjìn = ➜ Arbeitseifer ➜ tun/machen 幹+ Energie 劲 [3]http://taeglich.chinesisch-trainer.de

Jìn wird oft auch als „elastische Kraft“ umschrieben. Wenn wir nun zusammenfassen, können wir uns der speziellen Art von Kraft annähern, die nach meinem Empfinden weit über bloße Elastizität hinaus geht.

  • Bewegt und nicht statisch
  • anhaltend
  • elastisch
  • durchgängig
  • durchdringend
  • wie Wasser das innen fließt

Basierend auf dem grundsätzlichen Prinzip der Jing-Kraft, wie oben beschrieben, gibt es verschiedene, spezielle Arten dieser Kraft.

 

走 {zǒu}

Zou-Jin findet sich in verschiedner Art übersetzt. „Nachgeben“ [4]Licht Jürgen, Sieben Schätze des Taijiquan, München / Wagner Matthias, Das vollständige Buch von Form und Anwendung des Taijiquan, ZEHNTHAUS, 2011 ist die häufigste zu findende Übersetzung. In Song Zhijian´s Buch wird übersetzt mit „Ausweichen“. Die, dem Schriftzeichen in seiner ursprünglichen Bedeutung naheliegenste Übersetzung ist „Mitgehen“ [5]Bödicker Martin, Das Tai Chi-Klassiker Lesebuch, BÖDICKER 2013. In erster Linie geht es bei Zou-Jin um das Prinzip: Nicht-Widerstehen/Nicht Kraft-gegen-Kraft (不顶 bù dǐng), aber eben auch darum, nicht den Kontakt zu verlieren.

黏 {nián}

Nian-Jin ist mir selbst noch mit am unklarsten. Kleben oder anhaften sind sehr geläufige Übersetzungen. Martin Bödicker schreibt: „Kleben auch als Kontrolle des Gegners (bezeichnet)“[6]Bödicker Martin, Das Tai Chi-Klassiker Lesebuch, BÖDICKER 2013. Ich sehe Nian-Jin als Grundlage für weitere Jin-Qualitäten wie z.B. Hören und Interpretieren. Nils Kluge beschreibt einen Aspekt des Nian-Jin auf seiner Seite: taiji-forum.de sehr schön:

Die anhaftende Energie ist die wichtigste Grundlage der Selbstverteidigung im Taijiquan. Taijiquan wird oftmals als chinesisches Schattenboxen übersetzt. Dies ist unter Berücksichtigung der anhaftenden Energie reinweg richtig, denn durch das beständige Klebenbleiben am Partner entsteht das Bild eines Schattens: Der Gegenüber macht eine Bewegung und der Taiji-Adept folgt dieser Bewegung – eben wie ein Schatten. Dies gelingt aber nur, solange man sich frei und ungehindert bewegen kann. Das heißt, dass keine unnötige Muskelspannung bestehen darf, die erst gelöst werden müsste.[7]https://taiji-forum.de/taichi-taiji/tai-chi-uebengen/anhaften-hoeren-und-interpretieren/ Abgerufen am 08.06.2016

 

 

Es gibt noch eine Vielzahl weiterer Fachbegriffe aus dem Taijiquan. Ich nehme hier erst einmal nur Bezug auf die im Text des Klassikers von Wang Zongyue benannten.

 

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Fußnoten[+]